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Interview mit Huang Huang

Im Juni 2009 führte ich bei meinem Besuch bei Huang Huang in Nanjing ein ausführliches Interview mit ihm über die Anwendung der klassischen Rezepturen in der modernen Praxis. Die von mir transkribierten und ins Deutsche übersetzten Teile dieses Interviews möchte ich hier der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Aus ihnen ergibt sich eine kurze Einführung in Huang Huangs System der Anwendung der klassischen Rezepturen, wobei seine Prinzipien sehr klar zum Ausdruck kommen.

 

A. Kalg:

Dr. Huang, was ist für Sie das Besondere an den klassischen Rezepturen und worauf legen Sie bei der klinischen Anwendung besonderen Wert?

Huang Huang:

Die klassischen Rezepturen sind sehr exakt und streng aufgebaut. Man sollte sie nicht beliebig modifizieren. Dadurch würde man die ursprüngliche Struktur zerstören.

Die klassischen chinesischen Rezepturen sind über einen sehr langen Zeitraum hinweg entstanden. Viele Generationen von Ärzten haben sie angewendet und schließlich hat sich die heute überlieferte Form herausgebildet. Wie sie genau wirken, weiß man eigentlich nicht, d.h. wir verstehen ihr Wirkprinzip nicht voll und ganz. Man weiß nur, dass sie wirken. 

Die klassischen Rezepturen sind die Rezepturen von Zhang Zhongjing. Genau genommen sind sie nicht die Rezepturen von Zhang Zhongjing, sondern beruhen auf dem Erfahrungsschatz antiker chinesischer Ärzte. Spätere Generationen von Ärzten haben diese klassischen Rezepturen dann weiter angewandt und ihre Wirksamkeit in der Praxis unzählige Male bestätigt. In späterer Zeit hat sich die Wirksamkeit der klassischen Rezepturen auch in anderen Ländern bestätigt, erst in Japan und Korea, in jüngerer Zeit auch im Westen.

Man soll also unbedingt immer die ursprüngliche Rezeptur (yuan fang) benutzen. Manche Ärzte sind der Ansicht, dass man die klassischen Rezepturen durch Hinzufügen oder Weglassen von Arzneimitteln modifizieren sollte, um der jeweiligen Musterdifferenzierung zu entsprechen. Doch befürworte ich diese Methode nicht. Mitunter kann man allerdings zwei oder mehrere klassische Rezepturen miteinander kombinieren.

A. Kalg: 

Seit Zhang Zhongjing vor ungefähr 2000 Jahren die klassischen Rezepturen entwickelt hat, haben sich die Konstitution der Menschen, ihre Lebensbedingungen und ihre Lebensweise geändert. Sind die klassischen Rezepturen daher noch zeitgemäß? Der berühmte Qing-zeitliche Arzt Fei Boxiong meinte beispielsweise auch, dass man mit alten Rezepturen keine neuen Erkrankungen behandeln könne.

Huang Huang:

Es ist völlig richtig, dass man mit alten Rezepturen nicht ohne weiteres neu entstandene Erkrankungen behandeln kann. Doch kann man mit alten Rezepturen auch den modernen Menschen behandeln. Der Mensch ist immer noch ein Mensch. Seine Physiologie hat sich in diesen 2000 Jahren nicht wesentlich verändert. Die Reaktionen des Menschen auf klimatische Einflüsse sind trotz aller Veränderungen seiner Lebensbedingungen die gleichen geblieben. Wenn es kalt ist, friert er; wenn es warm ist, schwitzt er. Spartakus hat genau so geschwitzt wie jeder von uns. Da hat sich nichts geändert. So wie die Reaktion des Menschen auf klimatische Einflüsse ist auch die Reaktion auf äußere pathogene Einflüsse gleich geblieben. Die Art zu erkranken, die pathophysiologischen Mechanismen haben sich also nicht verändert. 

 

Um auf den zweiten Teilaspekt deiner Frage zurückzukommen: Die Krankheiten haben sich seit Zhang Zhongjing’s Zeiten in der Tat verändert. Es gibt heute Erkrankungen, die es früher nicht gab. Aber: Es lag überhaupt nicht in der Absicht von Zhang Zhongjing, Krankheiten zu behandeln! Er behandelte stets den Menschen! Dieser Ansatz unterscheidet sich von dem der westlichen Medizin. Sie behandelt die Krankheiten des Menschen. Die Chinesische Medizin dagegen behandelt den erkrankten Menschen. Zhang Zhongjing berücksichtigte bei der Behandlung die Konstitution des Patienten. So wie es früher Menschen von Chaihu-Konstitution gegeben hat, gibt es sie auch heute und wird es sie auch in Zukunft geben. Daher sollten wir also vor allem die Konstitution des Menschen verstehen lernen und ihm Arzneimittel bzw. Rezepturen entsprechend seiner Konstitution verordnen.

Die drei Eckpfeiler meines Behandlungssystems sind der Mensch, die Rezepturen, die Erkrankungen. Die Beziehungen dieser drei Eckpunkte gilt es zu verstehen. Wer bei mir lernen möchte, muss diese drei Eckpfeiler beherrschen. Ersten muss man also die Rezepturen gut kennen. Die Rezepturen des Shang Han Lun und Jin Gui Yao Lüe muss man studieren. Zweitens muss man die Konstitutionstypen des Menschen kennen und erkennen können, also die Chaihu-Konstitution, Guizhi-Konstitution, Mahuang-Konstitution usw. wie auch die Da-Chai-Hu-Tang-Konstitution, Gui-Zhi-Fu-Ling-Wan-Konstitution, Wu-Ling-San-Konstitution usw. usf., also die so genannte Kräuter-Konstitutionen und die Rezepturen-Konstitutionen. Drittens muss man die Krankheiten sowohl der traditionellen chinesischen Medizin als auch der modernen westlichen Medizin sehr gut kennen. Auf dem Gebiet der Krankheitslehre ist die westliche Medizin sehr weit entwickelt. 

Man muss also lernen, welche Rezepturen für welchen Menschentyp besonders geeignet und sicher anzuwenden sind, welche Menschen zu welchen Erkrankungen neigen und mit welchen Rezepturen man welche Erkrankungen behandeln kann. 

Wenn man die Konstitutionstypen sehr gut versteht, kann man sogar Rückschlüsse auf die Konstitution der Eltern und Großeltern eines Patienten ziehen.

Dies sind also die Grundvoraussetzungen, was eigentlich nicht viel ist: Man muss die gut 100 Rezepturen der zehn großen Kräuterfamilien beherrschen und selbstverständlich auch die einzelnen darin enthaltenen Kräuter gut kennen. Weiterhin muss man die Konstitutionstypen beherrschen und die Krankheiten der modernen Medizin, wie z.B. psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie, Manie, Depression usw., Erkrankungen des Immunsystems, Erkrankungen des Verdauungssystems usw. usf.

Um die Konstitutionstypen zu erkennen, braucht es natürlich Erfahrung, die man nicht allein aus Büchern lernen kann. Dazu kann ich empfehlen, bei mir in der Klinik zu hospitieren. Man muss sich beständig in der Diagnostik durch Betrachten (wang zhen) schulen. Man betrachtet DEN MENSCHEN, seinen Shen, seine Hautfarbe, seine Gesichtsfarbe, seine Körperform usw. usf.

A. Kalg: 

Eine gewisse Unsicherheit besteht auch immer bei der anzuwendenden Dosis der einzelnen Kräuter. Heutzutage meinen viele chinesische Ärzte, dass man die Kräuter höher dosieren muss als früher, da die Qualität der Kräuter durch den modernen Massenanbau nachgelassen habe. Unter den Gelehrten herrscht auch Uneinigkeit darüber, wie hoch Zhang Zhongjing die Kräuter dosiert hatte, da die während der Han-Dynastie verwendeten Maßeinheiten nicht den heute verwendeten Maßeinheiten entsprechen.

Huang Huang:

Die Chinesische Medizin war niemals unterbrochen. Ein Arzt hat sein Wissen immer an seine Schüler weiter gegeben. So ist also immer ein vernünftiges Maß der Dosierung überliefert worden. Daher kann man davon ausgehen, dass sich die von heutigen Ärzten üblicherweise verwendeten Dosen nichts wesentlich von denen der antiken Ärzte unterscheiden. 

Zum anderen Punkt der Frage: Man muss nicht unbedingt sehr hoch dosieren, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Auch mit kleinen Dosen kann man viel erreichen. Beispielsweise verwendet man in Japan sehr kleine Dosen, oft nur die Hälfte oder ein Drittel der in China üblichen Dosen. Kürzlich habe ich von einer japanischen Studie gelesen, bei der man die in Japan ohnehin schon niedrigen Dosen noch einmal um ein Drittel oder um ein Sechstel verringert hat und trotzdem noch Wirkungen erzielte. Die Dosierung spielt also nicht die entscheidende Rolle. Was von entscheidender Bedeutung ist, ist die Komposition der Rezeptur, weshalb man unbedingt die ursprüngliche Rezeptur verwenden sollte. 

A. Kalg: 

Dr. Huang, Sie beschreiben Menschen mit Chaihu-Konstitution als häufig sehr dünn, worin ich einen Hinweis auf Yin-Mangel sehe. Auch habe ich bei Ihnen in der Klinik Chaihu-Patienten gesehen, die meiner Ansicht nach mit Sicherheit einen Yin-Mangel haben. Bei diesen Patienten würde ich persönlich niemals die Anwendung von Chai hu (Bupleuri Radix) erwägen, da ich befürchten würde, den Yin-Mangel durch die Gabe von Chai hu noch zu verstärken. Schließlich hat kein geringerer als Ye Tianshi gesagt, dass Chai hu das Yin plündere.

Huang Huang:

Wenn man solche Zitate von berühmten Ärzten heranzieht, sollte man immer den Originaltext lesen und sich nicht darauf stützen, wie andere Ärzte dieses Zitat aus dem ursprünglichen Kontext herausgelöst interpretiert haben. Ich such dir mal eben diese Textstelle in Ye Tianshi’s Lin Zheng Zhi Nan heraus. ... Hier lies dir mal diese Passage durch! ... Dieses Zitat von Ye Tianshi findet sich also im Abschnitt über die Behandlung von Malaria bei Kindern. Und es bezieht sich nicht auf die Anwendung von Chai hu (Bupleuri Radix) als Einzelmittel, sondern darauf, dass die Ärzte seinerzeit eine Rezeptur mit Chai hu (Bupleuri Radix) und Ge gen (Puerariae Radix) als Hauptarzneien (CHAI GE JIE JI TANG) häufig und unkontrolliert bei Malaria eingesetzt hatten. Viele dieser Ärzte wendeten automatisch CHAI GE JIE JI TANG an, wann immer sie Fieber begegneten. Doch nicht in jedem Fall war diese Rezeptur geeignet. Manche dieser fiebernden Kinder, bei denen diese Rezeptur nicht indiziert war, kamen schließlich nach vergeblicher Einnahme dieses Mittels in die Behandlung von Ye Tianshi. Zu diesem Zeitpunkt waren sie dann durch ihr lange bestehendes Fieber bereits ausgezehrt oder litten unter Fieberkrämpfen. Diese Symptome waren Manifestationen von Leber-Wind und Magen-Yin-Schädigung. Mit dem Ausspruch, dass Chai hu (Bupleuri Radix) das Yin raube, meinte Ye Tianshi also nicht Chai hu an sich. Er wollte damit lediglich die unkritische, wahllose Anwendung von Chaihu-Rezepturen durch die damaligen Ärzte kritisieren. Er war nicht der Ansicht, dass man Chai hu überhaupt nicht benutzen sollte. In der Tat ist Chai hu ein sehr effektives Kraut, das aus der täglichen klinischen Praxis nicht wegzudenken ist.

Außerdem darf man das Werk von Ye Tianshi auch nicht unkritisch annehmen. Ye Tianshi war ein göttlicher Arzt. Bei chinesischen Ärzten kann man praktisch drei Stufen von Ärzten unterscheiden. Es gibt die normalen Ärzte (yi sheng 醫生), die berühmten oder renommierten Ärzte (ming yi 名醫) und göttliche Ärzte (shen yi 神醫). Jene göttlichen Ärzte zeichnen sich durch eine enorm hohe Heilkunst aus; sie können praktisch jede Art von Krankheit behandeln, auch Fälle, die herkömmliche Ärzte nicht zu behandeln vermögen. Ye Tianshi war solch ein göttlicher Arzt. Daher müssen wir berücksichtigen, dass er nicht nur mit den von ihm verschriebenen Arzneimitteln geheilt hat, sondern auch auf psychologische oder spirituelle Weise. Also können wir nicht davon ausgehen, dass wir dieselben Behandlungsergebnisse erzielen können, wenn wir einfach seine Rezepturen verwenden. 

Ich bin der Meinung, dass man ohne Chai hu (Bupleuri Radix) zu verwenden nicht richtig chinesische Medizin praktizieren kann. Werfen wir einen Blick auf die Rezepturen von Zhang Zhongjing. Er benutzte es oft sehr hoch dosiert. In der Rezeptur XIAO CHAI HU TANG aus dem Shang Han Lun verwendete er z.B. ein halbes jin, das entspricht 8 liang, also nach heutiger Maßeinheit 24 g.

A. Kalg: 

Wir diagnostizieren in der modernen TCM-Praxis sehr häufig Leber-Qi-Stauung. Wie ist das Verhältnis von Leber-Qi-Stauung und Chaihu-Konstitution? Kann man das gleichsetzen?

Huang Huang: 

Man kann die Chaihu-Konstitution nicht vollständig durch den Begriff der Leber-Qi-Stauung erklären. Leber-Qi-Stauung ist lediglich ein Aspekt der Chaihu-Konstitution. Auch die Gallenblase gehört noch dazu. Zur Chaihu-Konstitution gehören sowohl Leber- und Gallenblasen-Erkrankungen als auch funktionelle Störungen von Milz und Magen. Weiterhin gehören die funktionellen Aspekte des Qi und des Geistes (Shen) mit dazu. 

A. Kalg: 

In der chinesischen Arzneimitteltherapie gehen wir davon aus, dass Chai hu (Bupleuri Radix) das Leber-Qi reguliert und harmonisiert, dies insbesondere in der Kombination mit der Leber erweichenden Droge Bai shao (Paeoniae Radix Alba). 

Huang Huang:

Was bedeutet „regulieren“ oder „harmonisieren“? Diese Begriffe beziehen sich auf den Pathomechanismus. Doch ich rede nicht vom Pathomechanismus! Der Pathomechanismus ist ein vages, unpräzises Konzept. Die Leber, von der du redest, ist vielleicht eine andere Leber als die, von der ich rede. Das sind alles leere Konzepte. Ich rede nur von drei Dingen: Rezeptur, Erkrankung, Mensch. Die Rezepturen stehen fest. MA HUANG TANG ist MA HUANG TANG: Ma huang, Gui zhi, Gan cao, Xing ren. Wenn man z.B. Gui zhi herausnimmt, ist das nicht mehr MA HUANG TANG. Das ist eindeutig und objektiv. Der Mensch ist auch verhältnismäßig objektiv einschätzbar; man kann ihn sehen und anfassen. Auch eine Erkrankung ist objektiv fassbar. Eine Hepatitis ist eine Hepatitis; Hepatitis B ist Hepatitis B. Wir verwenden lieber diese objektivierbaren Fakten. Andererseits möchte ich die Existenz von Pathomechanismen überhaupt nicht negieren. Doch meine ich, dass dieses Konzept in der Praxis nicht sehr effektiv einsetzbar ist, der Komplexität des klinischen Erscheinungsbildes einfach nicht gerecht wird. In der klinischen Praxis trifft man häufig auf Situationen, bei denen wir eine Vielzahl verschiedener Pathomechanismen gleichzeitig antreffen. Beispielsweise kann eine Person sowohl Leber-Qi-Stauung, Herz-Feuer, gestörte Herz-Nieren-Kommunikation, Milz-Qi-Leere, Kälte der Mitte, Nieren-Leere usw. aufweisen. Andere Leute leiden ursprünglich unter einer Milz-Qi-Leere, was mit der Zeit zu einem Blut-Mangel führt. Aufgrund dieser Qi- und Blut-Leere nisten sich pathogene Faktoren ein. So kann dieser Patient also auch Wind, Feuchtigkeit und Hitze haben. Schleim entsteht bei Milz-Qi-Leere ohnehin und chronische Erkrankungen weisen immer auch ein Element von Blut-Stase auf. Bei solch einer komplexen Situation mit vielen verschiedenen Beschwerden ist es nahezu unmöglich, alles unter einem Pathomechanismus zusammenzufassen und entsprechend zu behandeln. Über diese verschiedenen Pathomechanismen könnte man eine ganze Doktorarbeit schreiben. Diese Herangehensweise erscheint mir also für die tägliche klinische Praxis ungeeignet. 

Bei solch komplexen Krankheitsmustern ist die Anwendung des Konzepts der Konstitution besser geeignet. Dabei lassen sich viele verschiedene Manifestationen unter einem Konstitutionstypus zusammenfassen. Und wenn man die Konstitution bestimmt hat, fällt es sehr leicht, die entsprechenden Rezepturen und Kräuter auszuwählen. Die Rezepturen, die wir auf diese Weise auswählen, sind klassische Standardrezepturen, diese Kräuter sind häufig benutzte Arzneimittel, die wir alle gut kennen. Auf die Effektivität dieser Rezepturen und Kräuter ist also Verlass. Wenn man dagegen auf der Grundlage der Pathomechanismen eine eigene Rezeptur zusammenstellt, wird diese oft sehr groß und unübersichtlich. Außerdem verwenden viele Ärzte in China bei dieser Herangehensweise häufig Kräuter, die nur regional vorkommen. Zu diesen Kräutern gibt es meist keine allgemeingültige Beschreibung ihrer Funktionen. Also ist ihre Anwendung schwer nachvollziehbar. Diese regionalen Kräuter werden häufig frisch verwandt. Dabei weiß man dann auch nicht, ob das getrocknete Kraut genau so wirkt wie das frische. 

Bei der Verwendung des Konzepts des Pathomechanismus gibt es auch noch das Problem, dass verschiedene Lehrer bzw. Ärzte unterschiedliche Pathomechanismen stärker betonen und andere vernachlässigen. Es ist also eine sehr subjektive und dadurch ungenaue Herangehensweise. Die Interpretation eines Pathomechanismus hängt dann in erster Linie davon ab, bei wem man gelernt hat. 

In der Wissenschaft kann man nicht alles sehen und anfassen. Oft muss man sich theoretischer Konstrukte bedienen, um bestimmte Phänomene zu erklären. Doch hat alle Wissenschaft ihren Ursprung in sichtbaren und greifbaren Dingen. Die Chinesische Medizin ist eine handfeste, ganz konkrete Wissenschaft. Wir sollten unser Augenmerk in erster Linie darauf richten, die Dinge zu bewerten, die wir sehen und fühlen können. Solch abstrakte und nebulöse Konstrukte wie den Pathomechanismus können wir dabei getrost vernachlässigen. Mit der Analyse des Pathomechanismus kann man nur etwas erklären. Aber uns geht es gar nicht darum, etwas zu erklären – wir wollen behandeln und heilen. 

A. Kalg: 

Also gehen wir nach dem Motto vor:  „有是证用是方 you shi zheng, yong shi fang“ („Liegt dieses Muster vor, benutzt man diese Rezeptur“).

Huang Huang: 

Ja, genau! Aber dabei muss man sich im Klaren darüber sein, was das jeweilige Muster (zheng) ist. Muster sind nicht gleichzusetzen mit Pathomechanismen. Die Muster von denen wir hier reden, sind nicht Milz-Leere, Nieren-Leere, Leber-Stauung usw. Dies sind keine Rezepturen-Muster (fang zheng)! Um Rezepturen-Muster (fang zheng) zu bestimmen, bedarf es der Bestätigung durch die Symptomenkonfiguration des Patienten. Dies sind eindeutige Beweise! In diesem Sinne ist unser System evidence-based. Woher beziehen wir die Beweise für die Rechtfertigung einer bestimmten Rezeptur? Erstens durch die Krankheit und zweitens durch die Konstitution des Patienten. In Bezug auf Krankheit ist uns die Westliche Medizin um einiges voraus. Die Konstitution vermag die Chinesische Medizin besser zu erklären. 

Um mein System anzuwenden, braucht man im Grunde keine allzu tief greifenden Kenntnisse der chinesischen Medizintheorie. Du hast also schon viel zu viel gelernt!

(heiteres Lachen auf beiden Seiten)

A.Kalg: 

Dr. Huang, Sie haben jetzt gut Reden. Doch sind Sie gewiss nur an den Punkt gelangt, an dem Sie jetzt sind, indem Sie langsam und gründlich die Klassiker der Chinesischen Medizin gelesen und all die verschiedenen Theorien erlernt haben. Ohne diese harte Schule wären Sie mit Sicherheit nicht dahin gekommen, wo Sie heute sind. 

Huang Huang: 

Das ist natürlich richtig. Ich habe all dies, mich langsam im Dunkeln vorantastend, nach und nach entdeckt. Doch braucht ihr mir nicht auf diesem beschwerlichen Weg und auf all den vergeblichen Umwegen zu folgen. Dabei geht einfach zu viel Zeit verloren. Ihr könnt gleich die Abkürzung nehmen und direkt zum Ziel gehen. (freudiges Lachen)

Mein System der klassischen Rezepturen ist besonders gut für westliche Studenten oder Therapeuten der Chinesischen Medizin geeignet, da es klar, einfach und objektiv ist und auch nicht viel vom philosophischen Überbau der Chinesischen Medizin enthält. Was man lernen muss, sind praktisch nur drei Dinge: Die klassischen Rezepturen muss man beherrschen, und die Konstitution wie auch die Krankheiten muss man erkennen können. Zu guter letzt muss man die Beziehung dieser drei Eckpfeiler untereinander verstehen. 

 

Kurse zum Erlernen des Jingfang-Systems von Huang Huang gibt es am Jingfang-Institut Deutschland:

http://www.jingfang-institut.de

 

Buchtipp:

Huang Huangs Buch „Die Klassischen Rezepturen der Chinesischen Medizin in der modernen Praxis“ ist 2010 beim Verlag Müller & Steinicke in der deutschen Übersetzung von Andreas Kalg erschienen. 

Es kann beim Fachbuchvertrieb naturmed (http://www.naturmed.de/) bestellt werden.

 

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